13.11.2018 | Simon

Wir sind eins

„Ich war vor kurzem auch im Ausland“, erzählt Martin grinsend – „Im Saarland!“. Wir hatten gerade unseren zwölfjährigen Missionseinsatz in Papua-Neuguinea abgeschlossen und waren für ein paar Wochen in Deutschland. Der nächste Schritt sollte uns für zwei Jahre nach Südostasien führen. Auch wenn wir in derselben Straße aufgewachsen sind, sind wir grundverschieden. Er ist am liebsten zu Hause, und mich zieht’s raus.

Immer im gleichen Umfeld zu bleiben, ist sicher. Aber unterwegs zu sein und sich Neuem auszusetzen, ist spannender. Durch unsere Missionsarbeit sind wir vielen unterschiedlichen Menschen begegnet. Als Familie haben wir das als ungemein horizonterweiternd erlebt. Interessant wird es vor allem dort, wo Christen ihren Glauben anders leben als wir. Wir saßen in Gottesdiensten, die ein paar Stunden dauerten, haben mitbekommen, wie Christen mitten in der Nacht stundenlang beteten und wurden mit Situationen konfrontiert, die wir bisher nicht kannten: Was soll man tun, wenn eine junge Frau zappelt, krampft und schreit und sich alle einig sind, dass sie gerade von einem bösen Geist geplagt wird?

Es gibt zwei Grundtendenzen, Menschen zu begegnen, die anders sind als wir. Das gilt auch für den Umgang mit anderen Christen: Entweder wir beurteilen auf der Grundlage unseres eigenen Werte-systems und unserer Prägung, was gut ist und was nicht. Das ist eine recht einfache Lösung. Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen. Vielen ist das aber zu arrogant. Wir leben ja schließlich in einer globalen Welt, verreisen, schieben Auslandssemester ein, WhatsAppen um die Welt. Ganz nebenbei ist ja auch Deutschland keine gleichförmige Gesellschaft mehr. Wir ticken nicht alle gleich. Auch Christen sehen nicht alles gleich und leben ihren Glauben unterschiedlich. Die zweite Grundtendenz ist deshalb: Wir lassen alles stehen, sind tolerant und gestehen anderen zu, dass sie denken und leben dürfen, wie sie wollen. Dieser Entwurf passt besser in unsere Zeit, aber letztlich bleiben wir in beiden Szenarien unberührt nebeneinander stehen.

Einer unserer EC-Grundsätze lautet: „Verbunden mit allen Christen“. WITH: Verbunden zu sein bedeutet aber mehr als nur nebeneinander zu stehen. Weder mit der Einstellung „Ich hab recht“ noch mit der Haltung „Ist doch mir egal“ begegnen wir uns wirklich. Wir verstehen einander nicht und nehmen uns selbst die Chance, durch die Sicht anderer hinterfragt und letztlich bereichert zu werden. Wir müssen uns schon darauf einlassen, andere Menschen, ihre Art zu leben und an Jesus zu glauben verstehen zu wollen.

In den letzten Jahren hatten wir eine Reihe Kurzzeitmitarbeiter bei uns. Sie haben uns alle reflektiert, dass die Begegnung mit Christen aus einem anderen kulturellen Umfeld ihren Blick über den Tellerrand enorm geweitet hat. In unseren Reflexionsgesprächen haben zum Beispiel alle die Gastfreundschaft und Großzügigkeit der Christen in Papua-Neuguinea herausgehoben. Das hat sie in ihrem eigenen Verhalten hinterfragt. Dieses Reflektieren ist notwendig, wenn wir aus diesen Erfahrungen etwas mitnehmen wollen. Gastfreundschaft und Großzügigkeit sind ja durchaus Werte, die eine gute biblische Grundlage haben (1. Petrus 4,9; Hebräer 13,16). Wir hatten aber auch Besucher, die von der Großzügigkeit der Einheimischen in den höchsten Tönen sangen, aber selbst zum Fremdschämen knausrig waren. Da hat irgendwie noch ein Schritt gefehlt, nämlich die Frage: Was kann ich für mich aus der Begegnung mit anderen Christen lernen?

Wir brauchen den Dreiklang: Aussetzen – Reflektieren – Lernen, um aus der Begegnung mit Christen, die irgendwie anders sind, bereichert hervorzugehen. Letztlich geht es ja darum, dass wir gemeinsam vor Gott stehen und lernen, ihm gemeinsam nachzufolgen. Da kann die Gemeinschaft mit anderen Christen helfen, unsere Ecken abzuschleifen oder neue Aspekte des Glaubens wahrzunehmen, die wir bisher unbeachtet ließen.

Ich will diesen Dreiklang noch an zwei weiteren Beispielen verdeutlichen:

Viele Christen, die wir kennen gelernt haben, haben sich selbst dazu verpflichtet, keinen Alkohol zu trinken. Seit ich aufgehört habe, sie einfach als „nervige enge Christen“ abzutun, kann ich ihren Lebensstil wieder als Anfrage an uns ansehen, die wir das lockerer handhaben. Haben wir vielleicht manchmal vergessen, dass wie wir Alkohol trinken, durchaus etwas mit unserem Glauben zu tun hat (Epheser 5,18)?

Einige der Studenten, die ich unterrichtete, glaubten, dass Gott immer will, dass wir gesund sind und es uns gut geht. Wir müssten das nur für uns in Anspruch nehmen und fest daran glauben, wenn wir beten, dann würden wir von jeder Krankheit gesund werden. Wir haben miteinander die Bibel studiert zu dem Thema. Meine Studenten haben gelernt, dass wir über Gott nicht verfügen können. Und ich habe durch das Reflektieren gemerkt, wie schwach mein Vertrauen in Gott ausgeprägt war, dass er ins Leben hier und jetzt eingreifen kann und will. Ich war auf der anderen Seite vom Pferd gefallen und bete heute anders.

Noch ein Gedanke zum Schluss: Wer sich verschiedenen Meinungen, Haltungen, Prägungen aussetzt, der kann leicht auch mal wie ein steuerloses Boot vom Wind jeder Lehre umhergetrieben werden (Epheser 4,14). Nicht alles, was den Stempel „christlich“ trägt, ist mit Gottes Gedanken für unser Leben in Einklang zu bringen. Nicht alles ist gleich gut und gleich wertig. In dem gerade erwähnten Vers aus dem Epheserbrief spricht Paulus davon, dass wir mündige Christen werden sollen. Wie ein Zirkel eine feste Mitte hat und mit dem anderen Arm weite Kreise ziehen kann, so ist es für uns wichtig, eine feste Beziehung mit Jesus zu haben und in der Gemeinschaft mit Christen vor Ort eingebunden zu sein. Genau deshalb braucht ihr euren Jugendkreis und eure Gemeinde vor Ort. Wenn ihr dort fest verankert seid, dann werdet ihr die bunte Vielfalt, die es in Gottes Familie gibt, als Bereicherung für euer Leben mit Jesus entdecken.

Simon,
Missionar der Liebenzeller Mission in Südostasien,
EC Remchingen