27.01.2020

Thema aus den aktuellen Mitteilungen: Heimat

WAR FRÜHER ALLES BESSER?
Ich bin 28 Jahre, stehe mitten im Leben, habe eine tolle Frau, eine super Familie und sehr gute Freunde … aber trotzdem sehne ich mich so sehr nach Heimat – so richtiger Heimat. Da, wo einfach alles gut ist. Kennt ihr das auch? Eigentlich ist alles gerade in Ordnung, aber man sehnt sich trotzdem nach mehr: dass endlich dieser lang ersehnte Traum in Erfüllung geht oder der Wunsch, einer ganz bestimmten Person nah zu sein. Oder einfach das Gefühl, die Vergangenheit zurückholen zu wollen. Zum Beispiel diese schöne und unbeschwerte Zeit, die früher in der Kindheit da war. Da, wo noch „alles gut“ war. Dieses bestimmte Gefühl von Heimat – genau das wäre doch schön jetzt zu haben, oder? 

 

„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat haben.“ (Theodor Fontane)

 

Der Soziologe Armin Nassehi sagt genau das. In gesellschaftlich oder persönlich stürmischen Zeiten, in denen es auf und ab geht, oder auch im ganz normalen Leben, da idealisieren wir die „alte Heimat“. Ich habe es erlebt, als ich zum ersten Mal weit weg von zuhause war – in Thailand. Da habe ich mir wochenlang nichts sehnlicher gewünscht, als endlich zurück zu dürfen – in die Heimat zu den Leuten an diesen bestimmten Ort. Und genau da wurde mein Vertrauen in Jesus Christus gestärkt. Inmitten der Fremde. Man könnte also sagen, dass „Heimat“ bei uns eine Summe aus 3 Faktoren ist.

1. Aus dem Verbundenheitsgefühl zu unserem eigenen Wohn- oder Geburtsort.
2. Aus dem Vorhandensein enger sozialer Kontakte zu Familie, Freunde und Gemeinde.
3. Aus der ganz besonderen Beziehung zu Jesus Christus.

Genau das haben mir auch Teenies geantwortet, als ich sie auf der Teenfreizeit vom KV Kraichgau in Dänemark nach Heimat gefragt habe: „Was ist für dich Heimat?“ Da kamen dann so Sachen wie „Da, wo ich so sein kann wie ich bin“, „Da, wo ich mich angenommen fühle“ oder auch „Da, wo ich immer hinkommen kann.“ Heimat wäre dann also der Ort wo wir die Leute herbeibeamen könnten, die wir am meisten lieben. Wäre das dann die beste Heimat? Meine innerliche Stimme schreit da sofort „Ja und das will ich lieber jetzt als gleich.“ Ungefähr so stellen wir uns ja auch unsere himmlische Heimat mit Jesus Christus vor – nur noch viel schöner. Aber ich glaube, bei allen Gefühlen tut es uns gut, unseren Horizont zu erweitern, um uns klar zu machen, dass hinter Heimat noch so viel mehr steckt. Hierfür will zeigen, dass hinter dem Begriff Heimat sich ganz viel Unterschiedliches über die letzten Jahrzehnte verborgen hat.

WAS IST EIGENTLICH HEIMAT?
Im 18. Jahrhundert wurde der Begriff „Heimat“ völlig emotionslos auf den Besitz von Haus und Hof angewandt. Damit verbunden war sogar teilweise die Auflage, die eigene Gemeinde nicht zu verlassen. Heimat bedeutet hier nicht einen Rückzugsort zu haben, sondern per Definition ist Heimat gleichzeitig der dauerhafte Aufenthaltsort. Wer kein Haus besessen hat und nicht sesshaft war (das war das gleiche), gehörte zur gesellschaftlichen Unterschicht. 
— Wohnort
Im 19. Jahrhundert wurde der Begriff als Gegenpol zur Industrialisierung ganz bewusst gesetzt. Heimat war die Natur, Wiesen und Wälder, in der die industrielle und maschinelle Welt hinter sich gelassen werden konnte.
— Schöpfung
Nach und nach wird der Begriff auch zunehmend von der Politik eingenommen, um nach eigenen Aussagen die „altdeutschen Traditionen zu bewahren“. Es ging vor allem um die Abgrenzung gegenüber der aufkommenden Internationalisierung. 
— kulturelle Traditionen
Im Nationalsozialismus ging mit einem starken Heimat-Begriff die Entmündigung eines Einzelnen und der kollektive Gleichschritt einher. Das Gefühl der Gemeinschaft und Stärke sollte gefördert werden. 
— Zwang zur Betonung des „Wir-Gefühls“
Ab den 80ern dann waren viele Leute wieder stolz auf den eigenen Wohnort oder die Region. Bis heute zeigt sich immer mehr, dass wir die regionale Heimat als wichtiger erachten, wenn weltpolitische Spannungen aufkommen. 
— geographische und regionale Umgebung

MIT ODER OHNE ABGRENZUNG!?
Besonders herausstechend ist dabei, dass Heimat immer wieder anhand von Abgrenzung geschieht. Eine Grenze zwischen meinem Garten und dem meines Nachbarn, eine Orts-, Landes- oder Staatsgrenze im größeren Sinn, aber auch eine emotionale Grenze, wie man sich verhält. Das klingt erstmal negativ. Besonders als Christen haben wir den Auftrag, niemanden auszuschließen. Nicht erst seit der Flüchtlingskrise 2015 haben besonders auch wir die Aufgabe, ganz praktisch andere zu integrieren – egal, ob sie aus Deutschland kommenoder nicht. Trotzdem muss man sehen, dass aus soziologischer Sicht Abgrenzung notwendig ist. Um eine gute Heimat zu gewähren, muss man sich bewusst werden, wofür man steht und wofür nicht. Eine solche Abgrenzung braucht ein soziales System, also eine Gruppe oder eine Gesellschaft, um sich selbst zu definieren und stärken. Wichtig zu unterscheiden ist, dass wir abgrenzen, aber nicht ausgrenzen. Ausgrenzen heißt wahlloses Verschließen, Abgrenzen gibt eine klare Definition  dessen, was wir wollen und wofür wir uns einsetzen. Dabei wollen wir aber offen für jeden sein.

HEIMAT IM JAHR 2020
In den letzten Jahren geht die Entwicklung also wieder klar zur Heimat. Der Begriff erfährt eine Renaissance. Heimat ist „in“. Jeder kleine Ort hat sein eigenes Oktoberfest, Lederhosen und Dirndl sind voll in Mode – besonders bei der Jugend. Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bringt es auf den Punkt: „Wer sich nach Heimat sehnt, der ist nicht von gestern. Im Gegenteil: Je schneller die Welt sich um uns dreht, desto größer wird die Sehnsucht nach Heimat.“ Das Thema bewegt: viele um uns herum, aber auch uns selbst. Deshalb wird uns als SWD-EC „Heimat“ als Jahresthema begleiten. Bei unserem Mitarbeiterkongress paX an gibt es den Startschuss. Heimat ist der rote Faden, der sich durch die ganze Veranstaltung zieht. Aber auch darüber hinaus wollen wir gezielt Aktionen und Gedanken darüber aufnehmen und ins Land schicken. Ich bin gespannt was wir da zusammen erleben. Heimat – hier und heute – bei uns.

Markus Deuschle, Landesjugendreferent