20.06.2019 | Armin Hassler

Generation Lobpreis

Das Bibellesen bei der Frage „Was stärkt dich in deinem Glauben?“ nur auf Platz sechs nach Lobpreismusik, Gebet, Gesprächen mit Freunden, Freizeiten und Predigten im Gottesdienst gekommen ist, hat die Aufmerksamkeit in den christlichen Medien auf sich gezogen. Überschriften waren zu lesen, wie „Lobpreisleiter prägen junge Christen mehr als Pfarrer“.

In diesem Artikel will ich zwei Punkte etwas näher betrachten: Warum hat Lobpreis einen so hohen Stellenwert bekommen, und wie verhält es sich mit der Bibel in der neuen Generation? Warum wir uns als SWD-EC-Verband mit unseren Hauptamtlichen schon intensiv mit der Studie befasst haben, liegt unter anderem auch daran, dass bisher unsere EC-ler noch nie so gut in einer Studie „erforscht“ worden sind. Ja, es sind u.a. unsere EC-ler, unsere jungen Menschen aus der Gemeinde, die in der Studie abgebildet worden sind. Deshalb lohnt es sich umso mehr, einen Blick darauf zu werfen.

x Lobpreis

Warum hat der Lobpreis einen so hohen Stellenwert bekommen? Der „Vater“ der Studie, Tobias Faix, kommt zu der Ansicht, dass der Lobpreis für die Jugendlichen die Funktion einer Liturgie übernimmt. In vielen Gemeinden gebe es zu wenig Emotionalität und Körperlichkeit, und da hat der Lobpreis einen Platz gefunden, dieses Defizit auszufüllen. Durch die ganze Studie (die sich mit viel mehr befasst als Lobpreis und Bibellesen) zieht es sich wie ein roter Faden durch, dass ein Wunsch nach Emotionen im Glauben vorhanden ist. Diese Generation will Gott erleben und spüren.

Dass Emotionen bei uns Menschen eine immer größere Rolle spielen, ist nichts Neues. Schon lange nutzt es z.B. schon die Werbeindustrie. Studien belegen, dass bei 70 - 90 % die Emotionen an einer Kaufentscheidung beteiligt sind. Wo kommen Emotionen und Körperlichkeit bei uns vor? Feste Rituale geben den Jugendlichen Sicherheit und Halt. Das Problem ist nur, dass die jüngere Generation keinen Zugang mehr zur klassischen evangelischen Liturgie findet. In unseren Gemeinden erleben sie eher eine „Verkopftheit des Glaubens“ (thinking theology), aber ihr Wunsch nach gelebter Theologie (doing theology) und auch die Ästhetik, das Styling und die Sprache (performing theology) finden immer mehr Raum. Aussagen wie: „Das muss in mir ein Gefühl auslösen.“ sind keine Seltenheit.

Klar werden einige beim Lesen jetzt denken: Emotionen sind doch nicht alles im Glauben! Wir müssen schauen, dass wir nicht von dieser Seite vom Pferd runterkippen. Ja, vollkommen richtig. Aber darf ich hier einwenden: Ist das wirklich eine Gefahr in unserer doch eher emotionslosen und körperlosen protestantischen Glaubenstradition?

Ich denke, dass wir in unseren Gottesdiensten und Jugendkreisen gut aufgestellt sind, Gott „mit ganzem Gemüt“ (unserem Verstand, was das Denken und Überlegen einschließt) zu lieben. Besteht wirklich die Gefahr, dass dieses „Gott von ganzer Seele lieben“ (hier geht es um die Empfindungen und Gefühle in unserem Leben) zu viel Raum einnimmt?  Die jüngere Generation sucht – aus meiner Sicht berechtigt – in unserer doch etwas „verkopften“ Glaubenstradition danach.

Das „höchste Gebot“ bezieht sich auf die ganze Person mit all ihren Gaben und Kräften. Ich glaube, dass auch bei uns älteren Christen eine Sehnsucht nach dem „von ganzer Seele lieben“ vorhanden ist. So erkläre ich mir zumindest den Run auf unsere Ostergärten. Im Kopf ist es doch klar, dass Jesus für uns gestorben ist. Wie gut tut mir es, wenn ich das als ganze Person wahrnehmen kann!

Meiner Meinung nach nimmt bei wachsenden Gemeinden der Lobpreis einen hohen Stellenwert ein. Ich denke, wir dürfen uns hier nicht dagegen verwehren, sondern sollten dem Defizit – nicht nur der Jugendlichen! – hier mehr Raum geben.

x Bibellesen

Auch wenn die Bibel als Glaubensquelle lediglich auf Platz sechs liegt, hat es mich sehr positiv überrascht, wie viel die Jugendlichen Bibel lesen. Einmal am Tag, sagt ein Viertel der Jugendlichen, und die Hälfte liest mindestens ein- oder mehrmals in der Woche darin. Eine Schlussfolgerung zu ziehen, dass Lobpreis das Bibellesen abgelöst hätte, wäre hier falsch. Es lässt sich eher sagen, dass je mehr Lobpreis, auch desto mehr Bibellesen stattfindet. Diese neue Generation schätzt die Bibel sehr. Sie versuchen, sie als Orientierung für den Alltag (nicht nur in der Theorie!) zu gebrauchen. Hier tritt jedoch eine große Unsicherheit hinsichtlich des Bibelverständnisses auf. Zwei Probleme zeigen sich:

1. Ein grundsätzliches Problem mit der Grausamkeit im Alten Testament und des daraus resultierenden Gottesbildes. Ich habe mir da früher nie so viele Gedanken gemacht, warum z.B. bei der Eroberung von Kanaan auch manchmal alle Menschen, auch Kinder (!) getötet werden mussten. Irgendwie war es für mich halt so. Punkt! Und Krieg ist nun mal grausam! Aber hier wollen die Jugendlichen heute eine Antwort darauf haben.

2. Ein Problem mit den schwierigen Stellen in der Bibel. Dinge, die schwer zu interpretieren sind, Texte die unverständlich wirken. Klar, die gab es schon immer, aber die Jugendlichen merken, dass es nicht mehr so thematisiert wird.

Weil sie die Bibel als Orientierung für ihr Leben sehen, zerbrechen sie sich über einzelne Bibelstellen den Kopf. Sie fühlen sich unsicher im Gebrauch für ihren Alltag. Wie diese Auslegung nun aber geschehen soll, damit man die Bibel nicht einfach nur dem Zeitgeist anpasst, sondern sie in ihrem Offenbarungscharakter ernst nimmt, scheint – wie die Autoren Tobias Faix & Tobias Künkler die Daten selbst deuten – für viele nicht klar.

Hier braucht es eine Hilfestellung! Als SWD-EC-Verband versuchen wir hier, mit einem knotenpunkte-Schulungswochenende „Hermeneutik“ (Wie lege ich die Bibel aus?) Antwort zu geben. Uns ist es bewusst, dass eine Schulung mit 30 Leuten im Jahr nicht die ganze Antwort sein kann. Aber wir wollen unsere Jugendlichen fit machen, wie die Bibel – gerade in diesen schwierigen Stellen – zu verstehen ist.

Bei einem Seminar über „Glauben in der Familie“ wurde mir vor einiger Zeit wieder ganz simpel vor Augen gemalt, wie die nachfolgende Generation von uns lernen kann. Es wurde die Frage gestellt, wo unsere Kinder noch mitbekommen, dass wir die Bibel lesen. Findet das im „öffentlichen Raum“ des Wohnzimmers statt oder lesen wir die Bibel nur in unserem „Kämmerle“.Als gutes Beispiel vorangehen. Es braucht eine neue Begeisterung für die Bibel. Es braucht Jugendleiter, Hauptamtliche und Eltern, die selbst von der Bibel schwärmen und sie in ihrem Alltag benutzen.

Jede Generation muss für sich wieder neu lernen, den eigenen Glauben auszudrücken. Und wenn die Generation Lobpreis etwas mehr Jesus „mit ganzer Seele“ lieben betont, dann wäre es doch schön, wenn wir ihnen den Raum dafür geben würden.